Freitag, 1. Juni 2012

Buchbesprechung: Im Winter Dein Herz von Benjamin Lebert


Im Winter Dein Herz von Benjamin Lebert ist bei Hoffman und Campe erschienen und für 18,99 Euro erhältlich.

Zugegebenermaßen bin ich etwas enttäuscht. Ich hatte mehr erwartet. Genau wie einige Rezensenten. Es ist kein schlechter Roman. Eine interessante Idee bringt die Handlung in Schwung: In Deutschland wird jedes Jahr mit Hilfe von Pillen Winterschlaf gehalten. Der Protagonist soll dies im Rahmen seines Aufenthaltes in einer Psychiatrie auch tun, doch er verweigert und unternimmt stattdessen mit zwei Begleitern eine Reise durch das verschneite und zu größten Teilen winterschlafhaltende Deutschland. Sein Ziel ist es, seinen totkranken Vater zu besuchen.

Leider bleibt die Handlung hinter ihren Möglichkeiten zurück und entpuppt sich als ähnlich simpel wie die beiden begleitenden Charaktere. Bei einigen Dialogen möchte man dem Autor fragend in die Augen blicken: „Wer, bitte, soll so reden?“

Auch die Suche nach der Ursache für die psychische Störung des Protagonisten lungert zu lange an einer Oberfläche herum, die nicht meine Neugier zu wecken vermag. Eine Erkenntnis, eine Auflösung liefert das Ende nicht.

Schade, denn ein Winterschlaf haltendes Deutschland mit all seiner Einsamkeit und Verschlossenheit birgt Raum für viel Romantik und Tiefgründigkeit. Beide kommen leider zu kurz.

Dienstag, 22. Mai 2012

Buchbesprechung: Imperium von Christian Kracht

Heute stelle ich Euch ein absolut tolles Buch vor.
Imperium von Christian Kracht ist erschienen bei Kiepenheuer und Witsch
Die 242 Seiten kosten 18,99 Euro.

Donnerlittchen! Wie hat sich das Feuilleton empört, als ein Rezensent es wagte, Kracht in die rechte Ecke zu stellen. Auch wenn diese Art der Aufmerksamkeit dem Autor persönlich unangenehm gewesen sein mag, den Verkaufszahlen kam sie zu Gute. Und das vollkommen zu Recht.

Imperium erzählt die Geschichte eines Weltverbesserers, namens August Engelhardt. Den gab es übrigens wirklich! Krachts Protagonist ist ein bekennender Vegetarier und Nudist. Das macht ihn zum Sonderling der damaligen Gesellschaft.

Im Roman erwirbt Engelhardt zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine kleine Insel in der Südsee vor Deutsch-Neuguinea. Engelhardt ist aber nicht nur Vegetarier, er ist Hardcore-Fruktarier. Denn er ernährt sich ausschließlich von Kokosnüssen. Sein Plan ist es, auf seiner Insel eine Kolonie von Kokovoren zu erschaffen.

Ein harmloser Spinner! Meint man… Aber so unschuldig wie er anfangs scheint, bleibt Engelhardt nicht. Später in der Geschichte wird es noch ganz schön eklig.
 „seine Fingernägel knabberte er ab, dies war mitunter das einzige tierische Eiweiß, das er zu sich nahm, und wir würden ihm diese kleine Form der Auto-Anthropophagie ruhig nachsehen und vor allem unerwähnt lassen, wenn sie nicht eine gewisse Symbolhaftigkeit frühzeitig zum Ausdruck brächte.“
Gemeint ist, dass Engelhardt als Folge von Lepra und Mangelernährung kannibalistische Tendenzen entwickelt.
„Engelhardt greift zur Kokosschale, darin er seinen Daumen verwahrt hat, entfernt sorgfältig das Salz von dem abgetrennten Stück und beißt hinein, den Knochen mit den Zähnen zerknackend.“
 Wie eklig ist das denn! Was muss in einem Autor vorgehen, der sich sowas ausdenkt? Aber egal. Der charmante Erzähler lässt einen den ersten Schock schnell vergessen. Mit seinem altertümlichen, doch stets launigen Ton, treibt er die Handlung nämlich äußerst vergnüglich voran.

Beispielhaft für den Erzählstil - mein Lieblingssatz:
„Da wir uns nun bemüht haben, von der Vergangenheit unseres armen Freundes zu erzählen, werden wir im Folgenden also, einem ausdauernden und stolzen Seevogel gleich, dem das Überfliegen der Zeitzonen unseres Erdballs vollends konsequenzlos erscheint, ja diese weder wahrnimmt noch darüber reflektiert, einige Jährchen überspringen und August Engelhardt dort wieder aufsuchen, wo wir ihn vor einigen Seiten verlassen haben; splitternackt am Strande spazierend, an seinem eigenen Strand wohlgemerkt, sich hier und da bückend, ein besonders reizvolles Muschelexemplar auflesend und es in einen Sammelkorb aus Bast gleiten lassend, den er zu diesem Zweck über die Schulter geworfen hat.“
Wohlgemerkt, das gerade Zitierte ist nur ein einziger Satz! Liebhabern der leichten Lesekost würde ich diesen Roman deswegen eher nicht empfehlen. Bei einer oberflächlichen Lektüre bleibt man eventuell erheitert, aber doch etwas ratlos, zurück. Kracht-Kenner und Spurensucher hingegen, stehen erneut vor einer Entdeckungsreise auf diversen Textebenen. Kracht streut viele Hinweise, die aber zum Teil in die Irre führen. Man muss schon tiefer in den Text einsteigen, um festzustellen, dass uns der Autor gerne an der Nase herumführt.

Es bleiben offene Fragen. Wie viele Erzählebenen existieren tatsächlich? Wer ist eigentlich der Erzähler? Und … darf man ihm überhaupt etwas glauben?

Zusammenfassend urteile ichToll! Wieder ein Roman von Kracht, der Eindruck hinterlässt. Durchzogen von Ironie treibt er ein Verwirrspiel mit uns. Aber der Roman ist auch eine kluge Parodie auf die Geschichtsschreibung und Geschichtserzählung. Und kommt nicht ohne moralische Wertung aus. Weltverbesserer und ihre Imperien sind hier zum Scheitern verurteilt.

Zu guter Letzt noch: Meine Frage an den Autor.
Herr Kracht, wann schreiben Sie mal ein langweiliges Buch?