Heute stelle ich Euch ein
absolut tolles Buch vor.
Die 242 Seiten kosten 18,99 Euro.
Donnerlittchen! Wie hat sich
das Feuilleton empört, als ein Rezensent es wagte, Kracht in die rechte Ecke zu
stellen. Auch wenn diese Art der
Aufmerksamkeit dem Autor persönlich unangenehm gewesen sein mag, den
Verkaufszahlen kam sie zu Gute. Und das vollkommen zu Recht.
Imperium erzählt die
Geschichte eines Weltverbesserers, namens August Engelhardt. Den gab es
übrigens wirklich! Krachts Protagonist ist ein
bekennender Vegetarier und Nudist. Das macht ihn zum Sonderling der damaligen
Gesellschaft.
Im Roman erwirbt Engelhardt zu
Beginn des 20. Jahrhunderts eine kleine Insel in der Südsee vor Deutsch-Neuguinea. Engelhardt ist aber nicht
nur Vegetarier, er ist Hardcore-Fruktarier. Denn er ernährt sich ausschließlich
von Kokosnüssen. Sein Plan ist es, auf seiner Insel eine Kolonie von Kokovoren
zu erschaffen.
Ein harmloser Spinner! Meint
man… Aber so unschuldig wie er anfangs scheint, bleibt Engelhardt nicht. Später
in der Geschichte wird es noch ganz schön eklig.
„seine Fingernägel knabberte
er ab, dies war mitunter das einzige tierische Eiweiß, das er zu sich nahm, und wir würden ihm diese
kleine Form der Auto-Anthropophagie ruhig nachsehen und vor allem unerwähnt
lassen, wenn sie nicht eine gewisse Symbolhaftigkeit frühzeitig zum Ausdruck
brächte.“
Gemeint ist, dass Engelhardt
als Folge von Lepra und Mangelernährung kannibalistische Tendenzen entwickelt.
„Engelhardt greift zur
Kokosschale, darin er seinen Daumen verwahrt hat, entfernt sorgfältig das Salz
von dem abgetrennten Stück und beißt hinein, den Knochen mit den Zähnen
zerknackend.“
Wie eklig ist das denn! Was
muss in einem Autor vorgehen, der sich sowas ausdenkt? Aber egal. Der charmante
Erzähler lässt einen den ersten Schock schnell vergessen. Mit seinem altertümlichen,
doch stets launigen Ton, treibt er die Handlung nämlich äußerst vergnüglich voran.
Beispielhaft für den
Erzählstil - mein Lieblingssatz:
„Da wir uns nun bemüht
haben, von der Vergangenheit unseres armen Freundes zu erzählen, werden wir im
Folgenden also, einem ausdauernden und
stolzen Seevogel gleich, dem das Überfliegen der Zeitzonen unseres Erdballs
vollends konsequenzlos erscheint, ja diese weder wahrnimmt noch darüber
reflektiert, einige Jährchen überspringen
und August Engelhardt dort wieder aufsuchen, wo wir ihn vor einigen Seiten
verlassen haben; splitternackt am Strande
spazierend, an seinem eigenen Strand wohlgemerkt, sich hier und da bückend, ein
besonders reizvolles Muschelexemplar auflesend und es in einen Sammelkorb aus
Bast gleiten lassend, den er zu diesem Zweck über die Schulter geworfen hat.“
Wohlgemerkt, das gerade Zitierte
ist nur ein einziger Satz! Liebhabern der leichten Lesekost würde ich diesen
Roman deswegen eher nicht empfehlen. Bei einer oberflächlichen Lektüre bleibt man
eventuell erheitert, aber doch etwas ratlos, zurück. Kracht-Kenner und
Spurensucher hingegen, stehen erneut vor einer Entdeckungsreise auf diversen
Textebenen. Kracht streut viele Hinweise, die aber zum Teil in die Irre führen. Man muss schon tiefer in den
Text einsteigen, um festzustellen, dass uns der Autor gerne an der Nase herumführt.
Es bleiben offene Fragen. Wie
viele Erzählebenen existieren tatsächlich? Wer ist eigentlich der Erzähler? Und
… darf man ihm überhaupt etwas glauben?
Zusammenfassend urteile ich: Toll! Wieder ein Roman von
Kracht, der Eindruck hinterlässt. Durchzogen von Ironie treibt er ein
Verwirrspiel mit uns. Aber der Roman ist auch eine
kluge Parodie auf die Geschichtsschreibung und Geschichtserzählung. Und kommt
nicht ohne moralische Wertung aus. Weltverbesserer und ihre Imperien sind hier zum
Scheitern verurteilt.
Zu guter Letzt noch: Meine
Frage an den Autor.
Herr Kracht, wann schreiben
Sie mal ein langweiliges Buch?